CORONA OBSCURA. Verborgene Aktualität

von Prof. Dr. Gottfried Jäger

Die neuen Fotobilder von Karen Stuke sind Zeichen verborgener Aktualität. Verborgen, weil sich ihre Botschaft erst mit Kenntnis der Umstände ihrer Entstehung erschließt. Aktuell, weil sie unmittelbar auf unsere Covid-bestimmte Zeit verweisen. So ist es mit den Bildern der Kunst – aber auch der Wissenschaft–, dass sie, ohne sprachlichen Hintergrund, zunächst rätselhaft und unverständlich scheinen. Und dass sich ihre inneren und äußeren Werte erst mit ihrem Kontext erweisen.

Das gilt auch für diese Arbeit. Ihr Auftritt erscheint eher harmlos. Doch hat sie es „in sich“. Sie zeigt Innenbilder der Masken und den Stoff, aus dem sie gemacht sind, um ihre TrägerInnen vor Ansteckung zu schützen. In ihm erkennt die Künstlerin ein bildwürdiges Motiv und geht ihm im Wortsinn „auf den Grund“. Eine „andere Art“ der Betrachtung beginnt: eine besondere Auseinandersetzung mit dem allgemeinen Phänomen. Doch entstehen nicht Bilder der Wissenschaft, keine Beweise, keine Dokumente. Es entstehen Bilder der Kunst, Äquivalente des Verborgenen, abstrakte Zeichen unserer Zeit, visuelle Poesie.

Dazu nützt Karen Stuke ein Verfahren, dessen Wurzeln in die Frühzeit der Fotogeschichte zurückreichen. Das verbindet diese Arbeit mit den bekannten Camera obscura-Arbeiten der Künstlerin und ihrer Theaterfotografie, bei der sie das Zeitliche und Räumliche des Bühnengeschehens in ein einziges Bild zusammenfasst. Hier aber ist das Clichée verre gemeint, eine manuell-optisch-chemische Technik, deren künstlerische Möglichkeiten über die wortwörtliche Bedeutung eines Glasklischees hinausreichen. Sie beruhen auf einem manuell gestalteten Transparent, das erst und einzig in dem darauffolgenden Fotoprozess seine endgültige Form gewinnt. Der Stoff der Maske dient als „Negativ“ – das im folgenden Fotoprozess ins „Positive“ gewendet wird. Ein surreales Wechselspiel nimmt seinen Lauf.

G. J, Feb. 2022

SCHWARZWEISS Magazin 147, April 2022